Labello Challenge auf TikTok

Labello Challenge auf TikTok

Wir haben in einem früheren Artikel über TikTok berichtet. Darin erwarteten wir einen beachtlichen Erfolg dieses sozialen Netzwerks, in dem auch Herausforderungen in Form von Videos gestellt werden. Diese spielerische Seite, aber auch die geringe Zugangskontrolle machen das soziale Netzwerk bei Teenagern und - oft - auch bei jüngeren Jugendlichen sehr beliebt. Wir sprachen darüber, dass die Abonnenten Zugang zu Inhalten haben, die nicht unbedingt für ihr Alter bestimmt sind, sowie über diesen Nachahmungseffekt, der durch die Herausforderungen induziert wird. All dies könnte dazu führen, dass (sehr) junge Nutzerinnen und Nutzer sich selbst filmen, und zwar mit Auswüchsen wie Hypersexualisierung oder Selbstgefährdung.

Dass Herausforderungen (Challenges) ein Problem sein können, ist nicht neu, doch wenn eine davon in einem so monumentalen sozialen Netzwerk wie TikTok (800 Millionen angemeldete Personen, 2 Milliarden registrierte Nutzer, davon 41 % zwischen 16 und 24 Jahren) abhebt, nimmt das unkontrollierbare, ja dramatische Ausmaße an. Übrigens möchten wir daran erinnern, dass das Mindestalter für die Nutzung dieses Netzwerks auf 13 Jahre festgelegt ist.

Die Labello Challenge: Was ist das eigentlich?

Der ein oder andere wird sich noch an die "Blauwal-Challenge" oder die "Ice Bucket Challenge" erinnern. Auch wenn Herausforderungen in sozialen Netzwerken nichts Neues sind, nimmt es in diesem Fall eine fatale Wendung, da Selbstmord zu den "Spielregeln" gehört.

Das Prinzip ist einfach:

 Man nehme eine Tube Lippenbalsam und trage sie jeden Tag auf, während man sich selbst filmt. Sobald die Tube leer ist, ist es Zeit für den Selbstmord.

 Dieser Satz lässt zwar das Blut gefrieren, doch die Herausforderung fügt dem Ganzen eine wichtige Schattierung hinzu. Bei jedem schwierigen Ereignis des Tages muss ein Stück des Balsams entfernt werden. Je schwieriger die Situation, desto grösser muss das Stückchen Balsam sein, das entfernt werden muss. Es ist leicht zu verstehen, dass dies die Zeit bis zum Ende des Balsams verkürzt...

Diese Herausforderung mag auf den ersten Blick unverständlich erscheinen, stößt aber bei jungen Menschen, die sich in schwierigen Lebensphasen befinden, vielleicht sogar an Depressionen leiden oder ihre sozialen Bindungen verlieren, manchmal auf offene Ohren.

Sich als Teil einer Gemeinschaft fühlen...

Das Prinzip, sich in einem sozialen Netzwerk zu filmen und an einer beliebten Herausforderung teilzunehmen, gibt einem natürlich das Gefühl, in eine Gemeinschaft aufgenommen zu werden und etwas Besonderes zu sein. Und das ist oft das, was Jugendliche suchen. Das Problem ist, dass dieses Gefühl der Einbeziehung in die Gesellschaft eine Illusion ist. Und wenn ein Teenager nach Unterstützung, Trost oder einer Möglichkeit sucht, seine Sorgen mitzuteilen, braucht er eine Präsenz, die mit ihm arbeitet und an seiner Seite ist. Die Konfrontation mit Menschen, die in einem virtuellen Rahmen unter demselben Unwohlsein leiden, führt eher dazu, dass der Jugendliche in seinem Zustand bestärkt wird und noch schneller in die Spirale der Depression abrutscht.

Er definiert sich selbst als Teil eines Prozesses, der zum Selbstmord führt. Sowohl online als auch offline wird seine Umgebung ihn also als solchen kategorisieren und anerkennen - und in den Netzwerken nach mehr verlangen. Er wird als leidend erkannt (auch wenn dies auf TikTok nicht als etwas zwangsläufig Negatives gesehen wird), hat aber keinen Zugang zu jemandem, der ihm hilft, aus dieser Situation herauszukommen, sondern nur zu einer Gruppe von Zuschauern.

... und in einer Blase aus massgeschneiderten Informationen gefangen sein

Bei dieser Herausforderung stellt sich das Problem der Bildschirmsucht. Die Nutzbarkeit und die Funktionen sozialer Netzwerke machen den Nutzer zu einem gefesselten Wesen, das darauf aus ist, Inhalte zu konsumieren. Verschiedene Faktoren führen dazu, dass der Nutzer so lange wie möglich bei der Stange gehalten wird. Ein Beispiel dafür ist das "endlose Scrollen", bei dem man durch Inhalte scrollen kann, ohne jemals an das Ende der Seite zu gelangen. Da man weiss, dass der Inhalt unbegrenzt ist, kann man, wenn einem ein Video oder ein Foto nicht gefällt, einfach zum nächsten springen, ohne jemals aufzuhören. 

Viele Studien zeigen, dass die Bildschirmsucht einerseits soziale Isolation verursacht, andererseits aber auch die irrtümliche Vorstellung bestärkt, dass man Teil einer Gemeinschaft ist. Und es ist dieses Bedürfnis, unterhaltsame, tröstende Inhalte zu konsumieren, welches als Fluchtweg dient. Es ist wie eine Droge, nur ohne Substanz.

Zudem können wir hier auch das Thema "Filterblase" ansprechen. Jedes Video in einem sozialen Netzwerk hat bestimmte Eigenschaften oder Begriffe, die es kennzeichnen. Demgegenüber hat jeder Nutzer ein Verhalten, d. h. einen Geschmack, den er in seinen Suchanfragen und in der Zeit, die er mit einem Inhalt verbringen wird, zum Ausdruck bringt (indem er das Video vollständig anschaut, es kommentiert, es teilt usw.). Diese beiden Elemente werden von Algorithmen analysiert, die in der Datenmenge nach Inhalten suchen, die dem Nutzer aufgrund seines Verhaltens angeblich gefallen. Das Ergebnis ist, dass das soziale Netzwerk uns hauptsächlich das anbietet, was uns voraussichtlich gefällt. Im konkreten Fall wird eine interessierte Person, die Inhalte im Zusammenhang mit der Labello Challenge postet, stärker mit ähnlichen Inhalten oder Themen konfrontiert werden, die mit dieser Challenge in Verbindung stehen. Dies wird dazu führen, dass die Person in ihrem Glauben bestärkt wird. Das funktioniert auch bei politischen, philosophischen oder kulturellen Interessen. Und unsere Erfahrungen im Internet werden ständig davon beeinflusst.

 

Betroffene geraten in eine Teufelsspirale mit wenig Ausstiegsmöglichkeiten. 

Obwohl das soziale Netzwerk bereits seine Motivation zum Ausdruck gebracht hat, das Problem der Labello Challenge ernst zu nehmen, bleibt es dabei, dass die beste Vorbeugung durch Dialog und Prävention erfolgen muss, und zwar mithilfe der unten aufgeführten Vorschläge.

Tipps zur Prävention

Herausforderungen und Gruppen, die Leiden oder Depressionen fördern, gibt es in sozialen Netzwerken schon lange. Die Blue Whale Challenge  wurde bereits erwähnt, Momo in Grundschulen oder Pro-Ana-Websites, die als Gebrauchsanweisung dienen, um junge Mädchen mit Anorexie oder Bulimie in ihrer Krankheit zu halten, kommen hinzu. Was kann man also gegen dieses Phänomen tun?

Beobachten. Zu bemerken, dass sich ein Schüler auf TikTok mit dieser Herausforderung beschäftigt, oder davon zu hören, ist eigentlich eine Gelegenheit, die man nutzen sollte. Dies kann man als Warnsignal betrachten. Der Schüler ist zwar in einer Nachahmungs- oder Modebewegung gefangen, kann aber auf diesem Weg signalisieren, dass er sich unwohl fühlt oder Absichten hat, sich selbst zu verletzen. Den Schüler zu fragen, ob alles in Ordnung ist, ist bereits ein guter Ansatz, um das Schweigen zu brechen und die Ursache(n) für das Unwohlsein zu erkennen.

In der Klasse/in der Schule darüber sprechen. Diese Challenge ist eine Möglichkeit, um das Thema Selbstmord anzugehen. Darüber zu sprechen ist eine Möglichkeit, diese Not nicht zu akzeptieren und einer möglichen Tragödie vorzubeugen. Mediatoren oder externe Helfer einzuschalten oder Informationen für die Eltern einzurichten, gehören zu den Möglichkeiten der Prävention.

Die Information weitergeben. Ein leidender Schüler darf nicht allein gelassen werden. Außerdem ist der Umgang mit einem leidenden Schüler nicht allein Sache der Schule. Eine Betreuung mit den Eltern gehört zu den unerlässlichen Maßnahmen. Hinzu kann eine Betreuung durch Fachleute aus dem Themenbereich kommen, die sich speziell um den Schüler kümmern, das können externe Akteure wie staatliche Stellen sein.

Darauf hinweisen, dass es Hilfe gibt. Über die individuelle Ebene hinaus ist die Sensibilisierung der Schüler ebenso notwendig wie das Zeigen, dass die Schule sich darum kümmert, indem sie regelmäßig wiederholt, welche Partner wichtig sind, um den Schüler, die Klasse oder die Schule zu begleiten.

  1. 147 ist eine Telefonnummer, eine Informationsseite und ein Live-Chat mit einem Spezialisten für Kinder und Jugendliche rund um die Uhr. Es wurde eine Hotline eingerichtet, die auch Eltern Auskunft gibt und ihnen zuhört.
  2. 143 ist das Angebot der Dargebotenen Hand mit einer Webseite und der Telefonnummer 143. 
  3. de.parspas.ch vom Walliser Verein für Suizidprävention gibt Ratschläge, bietet Interventionen an und verfügt auch über eine Telefon-Hotline.

Ein Schulklima schaffen, das den Dialog fördert. Abgesehen von all diesen Ideen ist es notwendig, an die Aufrechterhaltung eines wohlwollenden Schulklimas zu denken. Zusätzlich zu den Vorgaben des Lehrplans werden von Gesundheitsförderung Wallis zahlreiche Instrumente empfohlen, um die psychosozialen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu fördern.

Es ist klar, dass die Verhinderung von Selbstmord bei jungen Menschen von größter Bedeutung ist. Aber es ist auch wichtig, sich mit den Ursachen zu befassen, die zu dieser tragischen Tat führen können. Es ist notwendig, über Mobbing, Gewalt, Unwohlsein, Persönlichkeitsverletzungen und Sexualität zu sprechen, um einen Dialog zu eröffnen und Informationen zu liefern. Die Arbeit an der Selbstbehauptung, der Kommunikation, dem Zuhören und dem Vertrauen in sich selbst und in andere hilft den Schülern auch in schwierigen Zeiten.